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Nordrhein-Westfalen Umpolungstherapien

„Wir bezeichnen Homosexualität nicht als Krankheit“

25.02.2019, Witten, Freie evangelische Gemeinde Witten, Ansgar Hösting, evangelikaler Theologe und Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland 25.02.2019, Witten, Freie evangelische Gemeinde Witten, Ansgar Hösting, evangelikaler Theologe und Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland
Ansgar Hösting, evangelikaler Theologe und Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland
Quelle: Silvia Reimann
Jens Spahn will Therapien von Homosexualität verbieten. Anlass ist eine Denkschrift evangelikaler Christen. Deren Präses Ansgar Hörsting erklärt, warum er sich missverstanden fühlt und Spahns Vorhaben für antiliberal hält.

Machen Sie den „Homo-Heilern“ ein Ende! Seit Monaten hört Bundesgesundheitsminister Jens Spahn diese Forderung. Sie zielt auf sogenannte Konversionstherapien. So werden therapeutische Versuche bezeichnet, Homosexuellen, die heterosexuell werden wollen, bei einer Umorientierung zu helfen. Empfohlen werden sie meist unter evangelikalen oder konservativ-katholischen Christen. Diese Therapieangebote solle der Minister verbieten, fordert die Opposition seit Langem. Bislang lehnte Spahn ein Verbot ab. Vor wenigen Wochen aber kündigte er überraschend an, bis Sommer ein gesetzliches Verbot vorzulegen.

Ursächlich für diesen Sinneswandel war auch Ansgar Hörsting aus Witten. Er ist Präses des evangelikalen Bundes Freier evangelischer Gemeinden (FeG). Und der hat kurz vor Spahns Vorstoß eine Orientierungshilfe zum Umgang mit homosexuellen Christen verfasst. Ein Gedanke des Textes lautet: Wenn ein homosexueller Christ den Wunsch hege, seine konflikthaft erlebte sexuelle Orientierung zu ändern, solle er dies mit therapeutischer Begleitung probieren. Kaum war diese Denkschrift veröffentlicht, konfrontierten die Grünen und der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Spahn mit der FeG-Orientierungshilfe. Offenbar war dies eine Provokation zu viel für den Minister, der jetzt handeln will. Und Ansgar Hörsting, der all das mit ausgelöst hat, wagt nun erstmals, seinen umstrittenen Standpunkt öffentlich zu erläutern.

WELT: Präses Hörsting, Sie gelten als der Mann, der Jens Spahn zum Handeln brachte. Besorgt Sie das?

Ansgar Hörsting: Ob die Orientierungshilfe unseres Bundes für den Vorstoß des Ministers eine Rolle spielte, weiß ich nicht. Ich weiß aber etwas anderes: In der Berichterstattung wurde ein Nebenaspekt falsch interpretiert und zur Schlagzeile gemacht. In Folge dieser Berichte wurden sogar unsere Pastoren vor Ort als „Homo-Heiler“ verunglimpft. Dabei lehnen wir alles ab, was mit diesem Schlagwort üblicherweise verbunden wird.

WELT: Könnte man Ihre Orientierungshilfe bald als Anstiftung zu einer Straftat, zur Konversionstherapie werten?

Hörsting: Wer sie liest, wird feststellen: Wir empfehlen keine Konversionstherapie. Wir verkünden darin das seit Jahrtausenden bekannte biblische Leitbild der Ehe zwischen Mann und Frau auf Lebenszeit. Aber wir stellen genauso klar, dass allen, die von diesem Ideal abweichen, mit Liebe und Annahme begegnet wird – auch wenn uns das nicht immer gelingt. Wir glauben, dass wir so in guter Jesus-Tradition stehen: klare Leitbilder zu haben und zugleich respektvoll mit jedem Menschen zu sein. Es scheint mir unmöglich, deshalb strafrechtlich verfolgt zu werden.

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Quelle: WELT/Kevin Knauer

WELT: Aber Sie schreiben in der Orientierungshilfe, „homosexuell geprägte Menschen, die den Versuch einer Veränderung ihrer sexuellen Orientierung anstreben, sollten sich einem professionell begleiteten therapeutischen Prozess stellen.“ Raten Sie damit nicht zur Konversionstherapie?

Hörsting: Nein. Wir gebrauchen diesen Begriff und die damit verbundene Vorstellung nicht. Wir stellen lediglich fest, dass ein Mensch, der seine sexuelle Orientierung als unsicher und konflikthaft erfährt, das nicht im Rahmen unserer Gemeindeseelsorge angehen sollte. Bei diesen Fragen braucht man therapeutische Begleitung durch Profis.

WELT: Damit unterstellen Sie, eine erfolgreiche Therapie, sozusagen eine Heilung von Homosexualität sei möglich.

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Hörsting: Moment! Wir verwenden nirgendwo den Ausdruck „Heilung“. Wir bezeichnen Homosexualität nicht als Krankheit oder als etwas, das wegtherapiert werden müsste. Damit würden wir schweren Schaden anrichten.

WELT: Laut Weltärztebund droht ein solcher Schaden, wenn versucht wird, Homosexuellen eine andere sexuelle Neigung anzutherapieren. Das könne sogar Suizidversuche auslösen.

Hörsting: Deshalb zeigen wir für unsere Gemeindeleitungen die Grenzen kirchlicher Seelsorge auf und empfehlen eine professionelle therapeutische Begleitung, sofern ein Homosexueller aus freien Stücken versuchen will, seine als konflikthaft erlebte sexuelle Orientierung zu klären oder zu verändern.

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Quelle: Reuters

WELT: Woher wissen Sie, dass so etwas möglich ist? Viele Experten bestreiten das. Ihnen zufolge gibt es keine anerkannte wissenschaftliche Studie, die dauerhafte Umorientierungen belegt.

Hörsting: Für die Forschung ist es letztlich nicht erklärbar und vor allem nicht auf eine Ursache zurückzuführen, wie jemand zu einer homosexuellen Orientierung kommt. Nach heutigem Stand gibt es keine biologisch, gar genetisch zwingende Kausalität. Sexuelle Orientierung scheint ja in den Augen moderner Sexualforscher eher fluide und nicht fixiert zu sein.

WELT: Das belegt noch nicht die Wirksamkeit von Veränderungstherapien.

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Hörsting: Aber es hält die Möglichkeit offen, dass jemand, der Hilfe sucht, diese im professionellen Rahmen finden kann. Es gibt Menschen, die Veränderungsprozesse durchlaufen haben.

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WELT: Woher wissen Sie das?

Hörsting: Ich persönlich kenne glaubwürdige Personen, deren sexuelle Orientierung sich dauerhaft geändert hat.

WELT: Über mehr als zwei, drei Jahre?

Hörsting: Über mehr als 20 Jahre. Aber sie suchen mit diesem intimen Aspekt ihrer Lebensgeschichte nicht die Öffentlichkeit. Deshalb hört man davon so selten.

WELT: Verfolgt die therapeutische Begleitung, an die Sie denken, das Ziel der sexuellen Umorientierung?

Hörsting: Nein, die ist ergebnis- und zieloffen. Mit Druck darf niemals gearbeitet werden, das kann schlimme Folgen haben.

WELT: Am Ende kann also die Empfehlung stehen: Bleib wie du bist?

Hörsting: Längst nicht jeder Homosexuelle kann seine sexuelle Neigung verändern. Früher war man der Meinung, auch in unseren Kreisen, dies sei leichter möglich. Wir haben verstanden, dass das eine Fehleinschätzung war. Das wird ein Therapeut selbstverständlich respektieren. Und das betont auch unsere Orientierungshilfe.

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Quelle: WELT

WELT: Kürzlich lief der Film „Der verlorene Sohn“ an. Er erzählt von einem homosexuellen US-Evangelikalen, der sich per Therapie umzupolen versucht. Dabei wurde stark mit Schuldgefühlen gearbeitet und mit der Botschaft „Du lebst falsch. Du musst dich ändern!“ Ist das akzeptabel?

Hörsting: Die Praktiken aus dem Film sind, soweit mir bekannt, absolut inakzeptabel. Mit Druck darf nie gearbeitet werden, das kann schlimme Folgen haben.

WELT: Aus den liberalen evangelischen Landeskirchen wird Ihnen vorgeworfen, Sie versperrten homosexuellen Christen die Möglichkeit, im Frieden mit sich selbst in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft zu leben. Trifft Sie diese Kritik?

Hörsting: Nein, unsere Orientierungshilfe wendet sich ja gerade gegen den Irrglauben, wer wolle, der könne sich auch ändern. Sie kritisiert übrigens auch die früher nicht seltene Annahme, man müsse homosexuelle Männer nur mit einer Frau verheiraten, dann werde das schon klappen.

WELT: Aber?

Hörsting: Aber wenn einem Menschen, der mit seiner sexuellen Neigung in Konflikt lebt, verboten würde, sich auf einen ergebnisoffenen therapeutischen Weg zu begeben – das träfe mich. Das verstieße gegen das Recht jedes Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben.

WELT: Klingt ja fast evangelikal-liberal.

Hörsting: Als freikirchlicher Christ will ich mich nicht zum Vorreiter des Liberalismus aufspielen, aber ein solches Verbot passt nicht zu der freien Gesellschaft, in der wir leben.

WELT: Warum nicht?

Hörsting: In fast jedem Lebensbereich wird das Recht auf einen frei gewählten Lebensentwurf stark betont. Sogar sein Geschlecht darf man per Operation wechseln. Da verstehe ich nicht, warum die Freiheit, an seiner sexuellen Orientierung zu arbeiten, verschwinden soll.

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WELT: Viele Homosexuelle halten es für beleidigend, wenn ihre sexuelle Orientierung als therapiebedürftig gewertet wird. Verstehen Sie das nicht?

Hörsting: Wir treten dafür ein, dass jemand Hilfe bekommt, wenn er es will. Das dürfte niemanden beleidigen; dennoch verstehe ich, dass manche das so empfinden.

WELT: Warum sollten Homosexuelle solch eine Hilfe denn wollen?

Hörsting: Zum Beispiel, weil sie als Christen damit konfrontiert sind, dass in der Bibel keine positiven, wohl aber kritische Aussagen über homosexuelle Praktiken zu finden sind. Wenn jemand diese biblische Botschaft beleidigend findet, tut mir das sehr leid. Doch gleichzeitig lehrt die Bibel, jedem Menschen mit Liebe und Respekt zu begegnen.

Autor Frédéric Martel – „Vatikan vertuscht Homosexualität und Missbrauch“

Das Buch „Sodoma“ erschien in 8 Sprachen in 20 Ländern - genau an dem Tag, an dem der Missbrauchsgipfel von Papst Franziskus im Vatikan begann. Autor Martel betonte, Homosexualität habe an sich nichts mit Missbrauch zu tun.

Quelle: WELT/Christoph Hipp

WELT: Wo begegnen Sie Homosexuellen mit Liebe und Respekt?

Hörsting: Ich erkenne voller Respekt an, dass homosexuelle Paare, die in Treue und Liebe für immer zusammenleben wollen, Tugenden leben.

WELT: Aber die Homo-Ehe, in der das gelebt wird, lehnen Sie als unbiblisch ab.

Hörsting: Dennoch: Die Tugenden, die darin gelebt werden, können vorbildlich sein.

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